In einer ruhigen Ecke von Taipeh, weitab von Taiwans Hektik, hat ein Ausländer sich der Aufgabe verschrieben, eine einstmals auf der Insel lebendige Tradition vor der Vergessenheit zu bewahren.
Der durchschnittliche Einwohner von Taipeh findet einen Bummel durch eines der modernen Einkaufszentren der Stadt vermutlich reizvoller, als durch das historische, enge Viertel Dadaocheng(大稻埕) im Westen von Taipeh zu schlendern. Nicht jedoch Robin Ruizendaal -- im Jahre 2000 eröffnete der Niederländer in Dadaocheng sein TTT-Puppenzentrum, und er liebt die Gegend. Für Ruizendaal ist Dadaocheng ein Außenposten von Lokalgeschichte, die perfekte Kulisse für seinen Traum, das taiwanische Puppentheater neu zu beleben.
Seit Ruizendaals Ensemble mit seinem ersten größeren Stück Marco Polo in über 15 Ländern auf Welttournee ging, hat die Truppe über ein Dutzend Stücke aufgeführt. Die Themen sind unterschiedlich und stammen sowohl aus Taiwan als auch aus dem Ausland. Das Spektrum der in den Stücken gesprochenen Sprachen reicht vom taiwanischen Dialekt bis Italienisch, und die Vielfalt der Puppen ist ebenfalls groß: Neben den überwiegend zur Anwendung kommenden Handpuppen erscheinen laut Ruizendaal für ein bunteres Repertoire auch Stockpuppen und Schattenpuppen auf der Bühne.
Taiwans nachlassende Begeisterung für Puppen neu zu beleben findet Ruizendaal fast ebenso schwierig wie das Bemühen, die Besuchermassen aus den Einkaufszentren in das alte Taipeh zu locken, das er so verehrt. Die Zukunft des Puppentheaters in Taiwan macht ihm Sorgen, und empört erinnert er sich daran, wie ein Beinahe-Zuschauer sich auf dem Absatz umdrehte und ging, weil er nicht die 20 NT$ (0,48 Euro) Eintritt für die Vorstellung bezahlen wollte.
"Die Arbeit des Ensembles wird normalerweise mit ausverkauften Vorstellungen im Ausland belohnt, doch in Taiwan ist der Verkauf von Eintrittskarten oft entmutigend", seufzt Ruizendaal. "Nur wenige sind bereit, für eine Puppenvorstellung Geld zu bezahlen, denn bei Puppentheater erwarten sie immer noch eine kostenlose Straßenvorstellung."
Eine Ausnahme waren die sechstägigen Abendvorstellungen im Dezember vergangenen Jahres, bei denen 90 Prozent der Eintrittskarten Abnehmer fanden. Den Erfolg der im Experimenttheater des Nationaltheaters inszenierten Aufführungen schreibt das Zentrum zumindest teilweise dem Umstand zu, dass auf der Bühne neben Stockpuppen auch menschliche Darsteller in Fleisch und Blut agierten. Das von der einheimischen Kritik gefeierte Stück Herbstregen ist eine moderne Interpretation einer klassischen chinesischen Liebesgeschichte zwischen einem Kaiser der Tang-Dynastie (618-906) und einer der vier berühmtesten Schönheiten der Geschichte Chinas. Es war auch die bislang größte Aufführung des Ensembles mit einer Mannschaft von 25 Personen.
Während Herbstregen für das Zentrum in gewisser Weise eine neue Richtung darstellte, sind die Experimentierfreudigkeit und das Bestreben, mehr zu tun, als einfach nur Taiwans Puppen vor dem Verstauben zu bewahren und die einstmals auf der ganzen Insel gastierenden Vorstellungen am Leben zu erhalten, Merkmale von Ruizendaals Vision.
"Wir müssen kreativ sein, über die neuesten internationalen Trends Bescheid wissen und gleichzeitig die einzigartigen Eigenschaften der Kunst beibehalten", zählt Ruizendaal auf und fügt hinzu, dass das Zentrum nur neu geschaffene Manuskripte und- partituren verwendet. Die Titelmelodien von Marco Polo und Herbstregen waren von einem italienischen Komponisten geschrieben worden, desweiteren kamen traditionelle chinesische Musikkompositionen zur Anwendung.
TTTs Experimentierfreudigkeit endet nicht bei der Bekleidung der Puppen, sondern erstreckt sich auch auf die Puppen selbst. In Herbstregen trugen die Darsteller Kostüme von der bekannten Designerin Sophie Hung(洪麗芬), die Puppen selbst hatte Lai Shi-an geschaffen, ein Mitarbeiter des Zentrums, der seit über 16 Jahren das Design und die Herstellung von Puppen studiert.
Nach drei Jahren Betrieb hat das TTT-Puppenzentrum beim einheimischen Publikum zwar noch nicht gerade durchschlagenden Erfolg, aber die Leistungen sind nicht zu übersehen -- allein im Jahre 2003 gab es 200 Shows, 50 davon im Ausland. In Kürze wird das Zentrum in ein neues und zehn Mal größeres Domizil in Dadaocheng umziehen, das auch ein Museum mit Puppen und Masken aus Taiwan und der ganzen Welt umfassen wird. Bei der Sammlung von 4000 Objekten, die jeden Monat um rund 100 weitere Stücke wächst, ist Asien laut Ruizendaal auch zum Teil wegen der geringeren Kosten die Hauptherkunftsregion.
Gleichzeitig gibt das Zentrum aber auch etwas an Asien zurück. Im April reiste das Ensemble nach Kambodscha, trat dort kostenlos auf und erkundete die örtlichen Puppentraditionen. Das Ergebnis: TTT spendet Kambodscha taiwanische Puppen, kauft kambodschanische Puppen -- darunter die berühmten Riesenschattenvarietés des Landes -- und richtet eine Internet-Website über kambodschanische Puppenensembles ein.
"Die Kunst des Puppentheaters ist großartig in Südostasien, und wir müssen uns mit den Ensembles in dieser Region austauschen und ihnen bei der Entwicklung helfen", sinniert Ruizendaal und ergänzt, dass von nun an jedes Jahr Reisen nach Kambodscha stattfinden sollen.
Vom Eintrittskartenverkauf allein kann man solche großen Pläne freilich nicht zum Erfolg bringen, schon gar nicht aus dem Erlös der Aufführungen des Zentrums im heimatlichen Taiwan. An diesem Punkt greift laut Ruizendaal die Regierung gemeinsam mit Sponsoren aus der Privatwirtschaft und der Kultur- und Kunststiftung Taiyuan Arts and Culture Foundation ein, was ungefähr 75 Prozent von TTTs Jahresetat ausmacht. Engpässe können durch überwiegend im Ausland, aber auch in inländischen Schulen und anderen Organisationen aufgeführte Vorstellungen überbrückt werden.

Chen Xihuang, erfahrener Puppenspielmeister:"Wir erziehen unsere Kinder, wenn sie klein sind , nicht zur Freude am Puppentheater."
Für manche ist das ein Zeichen dafür, dass die Zeiten, in denen Puppentheater ein Massenpublikum anzulocken vermochte, vorbei sind. "Wir erziehen unsere Kinder, wenn sie klein sind, nicht zur Freude am Puppentheater", bekennt Chen Xihuang, ein erfahrener Puppenspieler im Zentrum, der damit erklärt, wie die Taiwaner das Interesse an dieser Kunst verloren.
Der Mangel an Schülern ist für den 74-jährigen Puppenmeister gleichfalls bedrückend. Chen verbringt jede Woche zwei Stunden mit einer Klasse aus 20 Grundschülern, denen er als zusätzliche Unterrichtsveranstaltung seine Puppenhandhabungskünste beibringt. Sobald sie in die Oberschule kommen, lässt ihr Interesse jedoch nach, seufzt Chen.
Im Moment sieht es so aus, als ob das gefährdete Überleben einer taiwanischen Tradition in wenigen Händen liegt, einige von ihnen ausländisch. Drei weitere Europäer haben sich Ruizendaal angeschlossen, um bei Puppenmeister Chen eine einjährige Lehre in Taiwan zu absolvieren.
Lai Shi-an gibt zu, dass die Zukunft des Puppentheaters ungewiss ist und dass man hochklassige Aufführungen nur in Taipeh zu sehen bekommt, wo Ensembles wie das von Ruizendaal das Licht bislang vor dem Erlöschen bewahren.
Vielleicht ist überhaupt Qualität der Schlüssel zur Gewinnung eines neuen Publikums, und durch Experimente und die Vorstellung einer taiwanischen Tradition im Ausland könnte Ruizendaal für die Puppen schließlich den Respekt zurückgewinnen, den sie im Inland verloren haben. "Es ist nicht so schwer, sechs oder sieben von zehn möglichen Punkten einzuheimsen, aber ich will volle zehn Punkte und internationales Niveau erreichen", verkündet Ruizendaal als Antwort auf die Herausforderung.
TTTs Website: http://www.taiyuan.org.tw
(Deutsch von Tilman Aretz)